Ein Jahr
oder eine Kurzgeschichte
Kapitel 8
Kapitel 8
Ich komme nach Hause. Wie jeden
Abend. Manchmal bist du schon vor mir da, manchmal arbeitest du noch. Wenn ich
so spät heimkomme wie heute, bist du schon da. Die Wohnung ist dunkel. Von der Wohnungstür
aus kann ich sehen, dass die Schlafzimmertür offen ist und dein Nachtlicht noch
brennt. Es verströmt nur wenig von dem warmen Licht bis hinaus auf den Gang.
Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und hänge meine Jacke ordentlich auf. Draußen
ist es kalt. Man kann den Winter förmlich riechen. Die Tage werden kürzer. Ich
gehe an der Küche vorbei, wo ein benutzter Topf auf dem Herd steht, direkt ins
Bad. Beim Zähne putzen verwerfe ich den Gedanken noch unter die Dusche zu
springen, obwohl die Umstände das eigentlich erfordern. Nachts ist das Wasser
kalt. Nur mit einem T-Shirt bekleidet krieche ich zu dir unter die Bettdecke.
Ich kann spüren, dass du noch wach bist, auch wenn du dich schlafend stellst.
Dein Atem geht zu regelmäßig. Meine Gedanken sind gemein, doch ich bin froh
darüber. Heute ertrage ich deine Enttäuschung nicht. Du weißt, wo ich gewesen
bin. Trotzdem kann ich ruhig schlafen.
Als ich aufwache, bist du schon
aufgestanden. Aus der Küche höre ich Geschirrgeklapper. Die restliche Arbeit,
die gestern liegen geblieben ist, wird erledigt. Zu dem Lärm mischt sich der
Duft von frisch gebrühtem Kaffee. Ein untrügliches Zeichen für deine Müdigkeit,
die du so gekonnt versteckst. Mit einem seltsamen Gefühl von
Niedergeschlagenheit setze ich mich auf und schwinge die Beine aus dem Bett.
Gähnend rauf ich mir die Haare und schlurfe ins Bad. Unter der Dusche, während
warmes Wasser auf mich niederprasselt und die Seife in meinen Augen brennt,
überlege ich mir eine Ausrede, die dich zufrieden stellen könnte und die du
nicht schon tausendmal von mir gehört hast. Doch ich werde meine laschen Worte
gar nicht brauchen. Als ich in Wasserdampf gehüllt aus der Dusche trete, höre
ich wie die Wohnungstür etwas zu fest ins Schloss fällt. Entweder bist du heute
sehr energiegeladen oder in der Wohnung ist ein Fenster offen. Beinahe muss ich
lachen. Mir selbst brauche ich wirklich nichts vortäuschen. Ich trockne mich ab
und ziehe frische Kleidung an. In der Küche, als ich mir kalten Kaffee in eine
hellblaue Ikea-Tasse gieße, fällt mein Blick auf den Zettel, den du
hinterlassen hast. „Warte mit dem Abendessen nicht, ich bin verabredet.“ Ein
untrügliches Zeichen dafür, dass du mich meidest. Denn wieso solltest du mir
keine Handynachricht schreiben. Außer wenn du eine Reaktion von mir vermeiden
willst. Ich lasse mich auf einen Stuhl fallen und nehme eine großen Schluck
Kaffee. Er ist mittlerweile ungenießbar. Ich verschlucke mich und muss ein
bisschen husten. Ob du es glaubst oder nicht, ich weiß, welcher Tag heute ist.
Heute komme ich früher heim.
Nicht, weil ich mich schuldig fühle, sondern weil ich Verantwortung für die
momentane Situation tragen sollte. Ich koche Gemüselasagne, Nicht, weil ich das
so gerne esse oder du, sondern weil das Gemüse im Kühlschrank schlaff und welk
ist und braune Stellen aufweist. Der Ofen piept, als das Essen fertig ist. Ich
verbrenne mir beinahe die Finger beim Herausnehmen der Auflaufform. Fluchend
stelle ich sie auf den Tisch und drapiere zwei Gedecke darum herum. Vielleicht
um den Schein zu wahren. Die Lasagne dampft und duftet lecker. Ich setz mich
auf einen Stuhl, starre in die Form und warte, obwohl ich weiß, dass du nicht
kommen wirst. Kurzerhand schneide ich mit einem Messer in die gelb-braune
Käsekruste und hieve ein Stück auf meinen Teller. Der Käse zieht lange Fäden.
Ein gutes Zeichen. Mit einer Gabel schiebe ich jeden Bissen erst einmal umher,
bevor ich ihn in den Mund stecke. Ich habe gerade wenige Happen der Lasagne
genommen, als mein Handy piept. Beinahe wie der Ofen zuvor. Ich werfe eine
Blick darauf. Ich bin mir sicher, dass ich es trotzdem vor dir nach Hause schaffe. Nach
einer schnellen Entscheidung landet die angefangene Lasagne im Müll, sowie mein
Teller im Spülbecken. Ich habe meine Schuhe noch nicht richtig an, da schließe
ich schon die Wohnungstür hinter mir.
Noch unten auf der Straße
stehend, entdecke ich, dass du es doch vor mir nach Hause geschafft hast. Im
Wohnzimmer brennt Licht. Leise Schuldgefühle melden sich. Ich schlucke sie
runter und gehe eben so leise nach oben. Wie jeden Abend, nachdem ich
heimgekommen bin, schlüpfe ich aus meinen Schuhen und hänge meine Jacke
ordentlich auf. Ich gehe ins Wohnzimmer, um nach dir zu sehen. Mehr aus
Gewohnheit als aus dem, was man echte Fürsorge nennt. Du liegst eingerollt in
eine Wolldecke auf unserem hellblauen Sofa. Dein Buch ist aufgeklappt auf den
Boden gefallen. Als ich es aufhebe, sehe ich wie die Seiten umgeknickt sind. Du
bist darüber eingeschlafen. Neben dir steht eine Flasche Wein, von der ich mir
sicher bin, dass du die nicht mehr gebraucht hättest. Egal mit wem du unterwegs
gewesen bist. Du hast dir nicht einmal die Mühe gemacht, ein Glas zu benutzen.
Das kalte Licht der kleinen Lampe wirft bläuliche Schatten auf dein Gesicht.
Deine Stirn ist gerunzelt. Es ist viel zu dunkel, um zu lesen. Ich gehe in die
Küche und schalte das grelle Licht an. An der halb aufgegessenen Lasagne auf
dem Tisch erkenne ich, dass sie dir auch nicht geschmeckt hat. Zu viel Salz.
Ich lasse dich auf dem Sofa weiterschlafen, schalte das Licht aus und gehe zu Bett.
Dein Schnarchen ist bis ins Wohnzimmer zu hören.
Wir sitzen auf zwei Liegestühlen
und beobachten wie die Sonne über dem Meer untergeht. Es ist kitschig wie eine
Postkarte. Zwischen uns auf einem Tisch steht ein Krug Sangria, daneben zwei
Gläser. Das Eis darin ist schon geschmolzen und macht das Getränk wässrig. Ich
muss daran denken, wie du am Morgen nach unserem Jahrestag verkatert von
unserem Sofa aufgestanden bist und gefragt hast, ob wir unseren Urlaub über
Ostern buchen sollten. Es war weniger eine Frage als eine direkte Aufforderung,
dass ich mich damit auseinandersetzen soll. Während ich mich gefragt habe, wie
du die ganze Nacht auf diesem unbequemen Sofa hast verbringen können. Du sagst
etwas und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Um zu verbergen, dass ich nicht
zugehört habe, gebe ich vor aus meinem Glas trinken zu wollen. Dabei schütte
ich etwas davon auf mein T-Shirt. Wir sehen uns an und müssen lachen. Einen
Moment ist es wie zuvor. Wie früher. Doch die Stimmung kippt. Ich kann spüren,
wie du dich verspannst. Ich sehe die unausgesprochene Frage in deinen Augen.
Doch ich laufe davor weg. Um nicht reagieren zu müssen, gebe ich vor, den Fleck
auf meinem Shirt auswaschen zu wollen. Während mir selbst unzählige Fragen
durch den Kopf schießen, auf die ich keine Antwort weiß oder auf dich ich keine
Antwort wissen will, stapfe ich durch den Sand zu unserer Ferienhütte.
Unser Urlaub ist sehr schön.
Während ich auf die höchsten Klippen steige und aufs Meer runter starre, liegst
du am Strand und liest unter deinem großen Sonnenhut versteckt ein Buch. Du
hast so viele Bücher im Gepäck, dass ich sogar hier über Bücherstapel falle,
die sich beinahe unerklärlicher Weise anhäufen. Doch im Urlaub mag ich das. Ich
sehe gerne dabei zu, wie du immer wieder dein Gesicht verziehst beim Lesen und
wie seltsam deine Handhaltung ist, wenn du die Seiten umblätterst. Immer wieder
erinnere ich dich daran, die Sonnencreme aufzufrischen, wenn du dich zu sehr
zwischen den Seiten deiner Bücher verloren hast. Wir trinken zu viel Alkohol,
schlagen uns die Bäuche mit vorzüglichem Essen voll, schlendern durch bunte
Gassen und verbrutzeln in der Sonne, während wir über alles reden. Außer über
das, was wichtig wäre. Trotzdem sind unsere Gespräche schier endlos. Beinahe
kitschig, wie die Zeit scheint still zu stehen.
Der Alltag hat sich schnell
wiedereingestellt. Nur die restliche Bräune der Frühlingssonne verrät, dass wir
überhaupt weggewesen sind. Heute komme ich wieder spät nach Hause. Ich schlüpfe
aus meinen Schuhen. Eine Jacke habe ich heute nicht gebraucht. Es wird wieder
richtig warm. Sogar abends lässt es sich ohne Jacke draußen aushalten. In
Erwartung, dass du bereits schläfst, laufe ich in Richtung Bad. Als ich an der
Küche vorbeigehe, bemerke ich, dass du dort im Dunklen auf einem Stuhl sitzt.
„Wo warst du?“ Deine Stimme klingt energisch, so als hättest du diese Frage
lange geübt, doch ich höre, dass sie zittert. Ich starre die hellgrau
gestrichene Wand an. Ich bin nicht vorbereitet. „Arbeit.“, nuschele ich und
kann mich endlich bewegen. Ohne abzuwarten, ob meine Antwort ausreicht, eile
ich ins Bad. Ich schließe die Tür ab. Auf das Waschbecken gestützt, starre ich
meinem Spiegelbild in die Augen. Ich bin beinahe panisch. Ist es jetzt vorbei?
Ich schüttele das miese Gefühl ab und steige in die Dusche, wobei ich beinahe
vergesse mich zu entkleiden. Das Wasser ist kalt. Weil spätnachts das warme
Wasser abgestellt wird. Angeblich um die Umwelt zu schonen, doch wohl eher, um
Kosten zu sparen. Ob es dir jetzt wohl genug ist? Das Gefühl in meiner Brust
ist beklemmend. Ich dusche mich so schnell wie möglich ab und schiebe das
Gefühl auf die Kälte. Aus der Dusche herausgestiegen, rubble ich mich mit einem
groben alten Handtuch so schnell ab, dass meine Haut ganz rot wird. Wenigstens
wird mir so warm. Du wolltest letztens neue Handtücher besorgen, aber meine
Meinung zuerst abwarten. Ich habe es vergessen. Eilig ziehe ich mir ein T-Shirt
über und husche leise ins Schlafzimmer. Du hast mir den Rücken zugewandt und
atmest regelmäßig. Es ist vollkommen dunkel und ruhig. Ich krieche ins Bett und
decke mich zu. Jeder hat jetzt seine eigene Bettdecke.
Ich wälze mich umher. Nicht so
wild, dass du aufwachst. Meine Unruhe wächst minütlich. Deine Kälte ist so nah.
Ich frage mich, ob das Wut ist oder stumme Pein. Verübeln kann dir das niemand.
Ich am allerwenigsten. Ich versuche mich wieder ruhig hinzulegen, doch der
Schlaf will sich nicht einstellen. Ich richte mich auf und werfe einen Blick
auf dich. Du atmest einfach weiter als wäre nichts. Ich schnappe mir mein
Handy, das auf meinem Nachtisch stets neben mir liegt. Das bläuliche Licht
weist mir den Weg aus dem Schlafzimmer. Ich schleiche ins Wohnzimmer. Es liegt
am weitesten von dir entfernt. Ich wähle die Nummer meines letzten Kontakts.
Körperliche Wärme und Zuneigung bekommen ich von dir nicht mehr. Stumm stellt
sich mir die Frage, wie du das aushältst. Um dich weiterhin nicht zu wecken, ziehe
ich mich im Dunklen an. Bevor ich die Wohnung verlasse, werfe ich einen letzten
Kontrollblick auf dich. Deine Atmung bleibt unverändert. Leise fällt die Tür
hinter mir ins Schloss. Als ich am nächsten Morgen nach Hause komme, bist du
bereits wach. Ich höre dich im Bad rumoren, während ich aus meinen Schuhen
schlüpfe und meine Jacke ordentlich aufhänge. Als ich in die Küche gehen will,
um Kaffee zu kochen, kommst du aus dem Bad und entdeckst mich. Objektiv betrachtet
siehst du wirklich fabelhaft aus. Doch ich sehe an deiner Haltung, wie dein
Herz förmlich bricht. Ich murmle „Notfall in der Arbeit, wollt dich nicht wecken,
hat so lange gedauert, dass ich da eingeschlafen bin.“ Die Erbärmlichkeit
dieser offensichtlichen Lüge ist uns beiden bewusst. Um deinem Blick zu
entgehen, gehe ich endlich in die Küche und stelle den Kaffeekocher auf den
Herd. Ohne ein weiteres Wort gehst du und schlägst die Wohnungstür hinter dir
zu. Ich gieße mir Kaffee in eine hellblaue Ikea-Tasse. Obwohl ich kräftig puste,
verbrenne ich mir meine Lippen.
Die nächsten Wochen verlaufen
ruhig. Wir haben uns vertragen. Obwohl wir nicht darüber reden. Haben wir nie.
Wir wüssten beide nicht, was wir sagen sollten. Das Offensichtliche
aussprechen. Dafür deine Blase platzen lassen, in der du gefangen bist. Keiner
von uns kann gewinnen. Ich bemühe mich wirklich. Während du hoffst, dass sich
wirklich etwas ändert. Wir leben nebeneinander her. Wahren den Schein. Ich
komme nach Hause. Wie jeden Abend. Manchmal bist du schon da, manchmal
arbeitest du noch. Wenn ich so spät heimkomme wie heute, bist du schon da. Die
Wohnung ist dunkel. Von der Wohnungstür aus kann ich sehen, dass die
Schlafzimmertür geschlossen ist. Doch in der Küche brennt noch Licht. Ich
zögere kurz, bevor ich aus meinen Schuhen schlüpfe. Ich will meine Jacke
ausziehen. Draußen ist es kalt geworden. Man kann den Winter förmlich riechen. Die
Tage werden kürzer. Die Tage werden dunkler. Du trittst aus der Küche mit einem
Glas Wein in der Hand. Du trägst eine Schlafanzughose und ein T-Shirt und stehst
barfuß auf dem Teppich im Flur. In der Wohnung ist es warm. Dein Gesicht ist gefasst.
Du sagst ruhig „Es ist vorbei.“ Wir stehen uns gegenüber und während du dich
meilenweit entfernst, sehen wir uns einfach an.
I proudly present: mein erste eigene Kurzgeschichte. Ich hoffe, ihr mochtet sie.
Over and out.
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